Ich sitze freiwillig im Flugzeug nach Kambodscha, mit einem schlechten Gewissen dazu. Jetzt gehöre ich zu den Reisenden , die es sich so einfach wie möglich machen. Mit Dollarscheinen ja auch kein Problem. Die Alternative wäre der Landweg in den Süden von Laos gewesen. Der Grenzübergang Laos - Kambodscha ist aber für Ausländer geschlossen. Ein Umweg über Thailand wäre nötig. Irgendwo hätte ich auch noch ein Visa beantragen müssen, das hätte weitere 3 Tage gedauert. Wäre an sich ja eine tolle Reise gewesen, mit bestimmt vielen Geschichten unterwegs. Meine Reisezeit ist begrenzt, somit habe ich mich für den einfachen und pragmatischeren Weg entschlossen.
Mit Laos Aviation zu fliegen kann ja auch eine spannende Geschichte werden. Gerade bringt der Steward 4 Whisky ins Cockpit. Im Flugzeug von Luang Prabang nach Vientianne lernte ich Lisa aus Australien kennen. Wir treffen uns in Siem Reap wieder. So hatte dieser Flug letztendlich auch seine Berechtigung gefunden.
In Kambodscha habe ich mich immer etwas unwohl gefühlt. Ich hatte zuvor einiges über das von 75 bis 79 dort Herrschende Pol Pot Regime gelesen. Was dort unter der Herrschaft der Roten Khmer geschehen war, stellt alle denkbaren Schreckensphantasien in den Schatten. Die Religion wurde abgeschafft, und ca. 2 Millionen Kambodschaner, ein Drittel der Bevölkerung, wurde brutalst liquidiert. Das eigene Volk. Sie waren alle zu "Dünger für die Felder" geworden, so hatten die roten Khmer verkündet, sollten diese "Revolutionäre" wenigstens als Leichen zu etwas nütze sein. Allein diese Vorstellung in der üppigen Natur ringsum bedrückte mich. Überall diese korrupte Polizei. Die Polizisten verkaufen, unter der Hand, Abzeichen und Wappen an Touristen . Kinder, die sich als Führer anbieten, zahlen an die Polizei, sonst werden sie weg gejagt. An jeder Ecke ist einer dieser korrupten und aufgeblasenen Polizisten, in schicker Uniform, wichtig auf seinem Moped sitzend.
Schon auf der Zufahrt zu Angkor Wat erschienen mir die Tempel noch größer, bewegender, geheimnisvoller als ich es mir je Vorgestellt hatte. Die Tempel von Angkor, nahe dem Städtchen Siem Reap, der zu Stein gewordene Kindheitstraum. Die alte Königsstadt der Khmer. Über eine Million Menschen lebten hier. Im 9. und 11. Jahrhundert erbaut und 1431 aufgegeben, nachdem die Siamesen es zerstört und ausgeplündert hatten. Angkor Wat, das weltweit größte sakrale Bauwerk. Buddhistische-und Hinduistische Götterwelt in Stein gehauen. Seit tausend Jahren behaupten sich diese Steine gegen den Dschungel. Jeder Stein von einer Größe und Feinheit, daß man als neuen Maßstab für die Welt mitnimmt. Tempel, einer schöner als der andere. Halsbrecherische Treppen führen zu Ihnen hinauf. Riesige Steingesichter bewahren das Khmer lächeln für die Ewigkeit. Ein versunkenes, von Wurzeln festgehaltenes Imperium. Ich war schon an vielen Orten, aber an keinem wie dieser. Angkor, diese natürliche, schlicht Schönheit, daß einem ohne Umwege über den Kopf, im innersten berührt. Ein magischer Ort. Man muß nicht Buddhist oder Hindu sein um das zu spüren, man muß sich nur gehen lassen.
Angkor ist für mich noch viel mehr. Überall die großen Reliefs mit Kriegsszenen, Folterungen und Hinrichtungen. Daneben Szenen von den schönen Seiten des Lebens. Der Henker neben der Schönen Tänzerin. Angkor ist nicht nur Vergangenheit, es ist auch Gegenwart und Zukunft. Sind diese Bilder eine Prophezeiung für die Nachwelt ? eine Mahnung ? Oder ist das Leben einfach so, mit Freude und Gewalttätigkeit, Lust und Qual ? Gehört das zusammen ? War es schon damals so ?
Gegen späten Mittag wird es ruhig in den Tempeln. Die Touristenbusse, mit Ihren jeweils 20 köpfigen Reisegruppen die zusammen sicher älter als Angkor Wat waren, wird es zu heiß und gehen zum Mittagessen mit Tanzshow. Dann wird es still. Schade daß die Steine nicht reden können. Oder flüstern sie in den Tempeln von Angkor einem doch was, ganz leise und unbemerkt ins Ohr ? In dem Stützbalken einer Tür wurde vor über 1000 Jahren ein Satz gemeißelt :
" Der Weise weiß, daß das Leben wie eine Flämmchen ist, das ein heftiger Wind bewegt " .
In einem stillen Winkel des mit Mammutbäumen überwachsenen Ta-Phrom Tempels, traf ich auf Katrina aus Singapur. Auch eine wirklich natürliche und einfache Schönheit. Sie war zuvor in Phnom Penh, leitete ein IT Aufbauprogramm an den Schulen dort, für 2 Monate, freiwillig und ohne Bezahlung. Sie hat großes vor. Nächste Woche kündigt sie ihren guten Job in Singapur, um erstmal nur noch Reisen zu können. Mit Gelegenheitsjobs will sie alles finanzieren. Ich mag sie. Morgen reisen wir beide weiter, sie nach Hause um zu kündigen, ich mit dem Boot über den Tonle Sap See nach Phnom Penh. Ich wünsche Ihr alles Gute, aber um eine Frau wie Sie braucht man sich keine Sorgen machen. Wo ist eigentlich Lisa vom Flieger geblieben ?
In Phnom Penh habe ich nicht gut geschlafen. Irgendwas lag hier immer in der Luft. Vielleicht lag es daran, daß um viele Häuser und sonstige Gebäude eine hohe Mauer herumführt, oftmals zusätzlich mit Stacheldraht oder Glasscherben gesichert. Vor wem haben die Menschen hier Angst ? Oder lag es daran, daß ich in dieser Stadt dieses herzliche Asiatische Lachen vermißt habe ? Irgendwas hat diese Stadt was mich unruhig machte. Vielleicht, daß sich die Anzahl der Bettler und herumhängenden Kindern sich hier um ein vielfaches steigerte ? Irgendwas war da. Daß diese Stadt einfach nur staubig und dreckig war ? Oder an den Menschen die in Kampfuniform durch die Straßen fuhren ? Oder daran, daß ganz in der Nähe meines Gästehauses das gefürchtete Security Prison 21 war ?
Dort sind zwischen 75 und 79 sämtliche Greultaten die man Menschen antun kann geschehen. An Personen und Kindern die sich nicht zu den Roten Khmer bekennen wollten. Jeder dieser Gefangener wurde Fotografiert, vor und oftmals während der Folter. 17000 Menschen wurde alleine in dieser ehemaligen Schule umgebracht. Wer die Folter überlebte, wurde zu den " Killing Fields" gebracht. 20 Kilometer außerhalb der Stadt. Mit verbundenen Augen und die Hände auf dem Rücken gefesselt, knieend, um von hinten erschossen oder erschlagen zu werden. Diese Bilder erinnerten mich an die Reliefs von Angkor Wat. Prophezeiung ? Die Massengräber sowie das Prison 21 habe ich heute besichtigt. Viele der Roten Khmer von damals stecken heute in schicken Staatsuniformen. Was aber von niemandem dort erwähnt wird.
Für mich ist diese " Last" der 4 Jahre Pol Pot- Regimes hier noch deutlich spürbar und greifbar. Und das Bild der Tausend Totenköpfe und Gebeine im Mahnmal auf den Killing Fields, vergißt man auch nicht so leicht. Vielleicht macht das die Nächte hier schlaflos.
Mein Visa für Vietnam ist da. Gott sei Dank, 2 Tage Phnom Penh sind für mich genug. Vietnam, mein 6. Grenzübertritt auf dieser Reise. Freue mich auf bekannte Orte und Landschaften. Auf die Menschen die dort auf mich warten....... mein Patenkind Thanh und Familie, Ming das Patenkind meiner Schwester, meine Dolmetscherin Thuy und natürlich meine gute Freundin Kim in Hanoi. Und auf die mir heute noch unbekannten Menschen, auf die ich nur durch eine endlose Verkettung von Zufällen treffen werde. Ist das einfach Schicksal ? Wer zog die Fäden all
dessen, was mir bisher begegnete?
weiter mit Teil 5: Vietnam.
Comments